Vielleicht ist es jetzt noch zu früh um von einer Regierungs- gar Staatskrise zu sprechen in Frankreich, aber es hat zumindest von Aussen betrachtet den Anschein, als daß die Dinge sich genau in diese Richtung bewegen?
Vor einer Woche behandelte die Französische Nationalversammlung den Gesetzesantrag des loi de sécurité globale in Erster Lesung.
Dieser Gesetzesentwurf enthielt zumindest einen umstrittenen Teil, den Artikel 24, der zum Schutz der Polizei- und Ordnungskräfte gedacht, die Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit der Franzosen künftig in nie zuvor dagewesener Art und Weise beeinträchtigen würde. Jeder, der mit Fotos, Filmen und Techniken aller Art, wie z.B. mit Drohnen aber auch fest installierten privaten Überwachungskameras Bilder aufnehmen und/oder gar verbreiten würde, der mache sich strafbar und würde mit einem Jahr Gefängnis plus 45.000€ Geldstrafe bestraft, wenn damit Polizisten, Gendarmerie und Spezialeinheiten aller Art identifizierbar seien! Dieser Artikel 24 sei zum Schutz der Ordnungskräfte und ihrer Familien gedacht, denn es gab in der Vergangenheit schon Übergriffe von Delinquenten auf Polizisten in Freizeit und deren Familien. Der Zufall(?) wollte es, daß es genau zu diesem kritischen Zeitpunkt zur Veröffentlichung solcher künftig verbotener Bilder kam, die brutale, zum Teil rassistische Übergriffe dieser Polizei zeigten. Da ging es um Übergriffe bei Räumungen von Flüchtlingslagern und Demos, aber auch um das Zusammenschlagen von Rauchern, die auf eine Zigarette vor die Tür gegangen waren und so den Lockdown verletzt hatten. Drei prügelten und beschimpften ihr Opfer als „dreckigen Neger“ und weitere sahen tatenlos den Dingen zu…
Darauf beschloß und verkündete der Premierminister Jean Castex seine Absicht eine Kommission zu bilden, die den umstrittenen Artikel 24 so umformulieren sollte, daß der möglichst ALLE gewünschten Ziele erreichen, erfüllen könnte! Da hatte Castex aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der indignierte Präsident der Französischen Nationalversammlung erinnerte ihn daran, daß dies in die Kompetenz der beiden Kammern mit gewählten Abgeordneten, der Nationalversammlung ODER des Senates fiele und NICHT in die Kompetenz des Premierministers!
Am Freitag, den 20. November, fand nach dreitägiger Diskussion die erste Abstimmung der Nationalversammlung über den Gesetzesentwurf „loi de sécurité globale“ statt. Stolz berichtete der Innenminister Gérald Darmanin vom klaren Ergebnis: DAFÜR = 388, DAGEGEN = 104, ENTHALTUNGEN = 66, Absolute Mehrheit = 247, also, alles klar soweit? Was nicht erwähnt wurde, war die Tatsache, daß von den 271 Abgeordneten von Präsident Macrons Regierungspartei LREM nur 103(!) FÜR das Gesetz stimmten, 5 waren zwar anwesend, aber enthielten sich und 162(!) waren nicht zur Abstimmung erschienen! Das bedeutete, daß Darmanin, Castex und Macron nicht einmal in Macrons eigener Partei eine Mehrheit organisieren konnten in einer so wichtigen Sache? Oder sollte am Ende die (verabredete?) Abwesenheit der Mehrheit der Abgeordneten von Macrons LREM nur den Umstand vertuschen, daß der Präsident keine eigene Mehrheit aufbringen kann und diese Gesetz deshalb nur mit den Stimmen der Rechten und Ultrarechten in Kraft treten könnte?
Am Nachmittag des Donnerstag, den 26. November, verkündete Premierminister Jean Castex die Bildung einer unabhängigen Kommission zu Erarbeitung eines neuen Gesetzestextes über den Artikel 24. Sein Innenminister beanspruchte seinerseits diese Idee für sich und belegte seinen Anspruch durch die Veröffentlichung eines Briefes, den ER am selben Tag an den Premierminister Jean Castex geschrieben und DIESEM die Bildung einer solchen Kommission detailliert vorgeschlagen habe.
Während sich die Beteiligten der Regierung nur um die geplante Kommission zur Gesetzestextänderung zu streiten schienen wurden sie aus dem Parlament von irritierten und/oder wütenden Abgeordneten mit einem anderen Artikel 24 konfrontiert, dem Artikel 24 der Französischen Verfassung, der besagt, daß Un autre Article 24 (Constitution de 1958 celui là) : « Le Parlement vote la loi. Il contrôle l’action du Gouvernement. Il évalue les politiques publiques ». Voilà. Simple, clair, net. Confiance pleine et entière à la démocratie représentative.
Das Parlament stimmt über das Gesetz ab. Es kontrolliert die Aktionen der Regierung. Es bewertet die öffentliche Politik. Hier, einfach, klar, sauber. Volles Vertrauen in die repräsentative Demokratie! Der Minister für Angelegenheiten zwischen Regierung und Parlament Marc Fesneau war anscheinend auch übergangen worden bei dem ganzen Chaos?
Für den 15. Januar ist die Lesung des Gesetzesentwurfs im Französischen Senat geplant. Vielleicht gibt es bis dahin ja jemand, der einen neuen, allseits akzeptierten, Text über den geplanten Artikel 24 so formulieren kann, daß er den Bedürfnissen der Presse- und Meinungsfreiheit, den Rechten ALLER Franzosen, UND der Polizei gleichermaßen entspricht? Ansonsten würde ich den Freiheiten der Bevölkerung den Vorzug geben, anstatt mich auf die schräge, rutschige Ebene zu einem Polizeistaat zu begeben…
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https://www.francetvinfo.fr/politique/proposition-de-loi-sur-la-securite-globale/loi-securite-globale-comment-la-commission-sur-l-article-24-a-declenche-une-crise-politique-au-sein-de-la-majorite_4199121.html#xtor=EPR-51-%5Bloi-securite-globale-133-000-personnes-ont-manifeste-en-france-selon-le-ministere-de-l-interieur_4199427%5D-20201128-%5Brelated%5D