Streit zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Emmanuel Macron: Worum geht es?

Da beschimpfen sich zwei Männer. Das kommt öfter vor. Diese beiden aber sind die Präsidenten ihrer Länder und sie beschimpfen sich öffentlich über die Medien. Das bedeutet, sie können nicht zurück ohne vor den eigenen Bürgern das Gesicht zu verlieren. Vermutlich haben beide Berater und eine Menge Erfahrung im politischen Streit. Warum also die (offensichtlich?) gewollte Zuspitzung?

Der Eine ist eine der Top-Figuren der EU, des Westens (Nun, Donald Trump und Boris Johnson würden dies wohl bestreiten?), der Andere ist der selbsternannte Sprecher der Muslime und gefühlte Rekonstrukteur des Osmanischen Imperiums. Der Eine sieht sich in postkolonialer Veranwortung für Teile Nord- und Westafrikas und des Nahen Ostens.

Der Eine beheimatet Millionen Bürger muslimischen Glaubens, für die sich der Andere als Sprecher zuständig fühlt und bei Bedarf auch einmischt.

In der EU herrscht Religionsfreiheit, in Frankreich zusätzlich eine klare Trennung zwischen Staat und Religionen, gleich welchen Typs, der Laizismus. Der hier, diesem Konflikt offenbar zu Grunde liegende Karikaturenstreit ist offensichtlich nur die Spitze eines Eisberges der wechselseitigen Entfremdung? Da gibt es eine große Minderheit die der Mehrheit ihren Glauben, ihren Willen, aufzwingen will und wenn man dazu zu tötlicher Gewalt greifen muss. Das bedeutet im Prinzip, es gibt keine gemeinsamen, von beiden Gesellschaftsteilen akzeptierten Spielregeln mehr.

Diese Spaltung in Gesellschaften gibt es nicht nur in Fragen von Religion, sondern auch im Umgang mit der aktuellen Corona-Pandemie, die persönliche Einschränkungen fordert. Es gibt sie schon länger bei der Frage der Impfpflicht, wo Impfgegner Andere gefährden. Der Umgang mit den sozialen Medien führt häufig zur Sammlung von Gleich- oder ähnlich Gesinnten, was in der Regel zur Verstärkung derer Ansichten führt.

Könnte es am Ende gar sein, daß die beiden sich streitenden Präsidenten gemeinsam von jeweil innenpolitischen Konflikten ablenken wollen? Brauchen sie gar den „äusseren Feind“, weil sie nicht in der Lage sind den Bruch in ihren Gesellschaften zu heilen?

Was hat Erdogan im östlichen Mittelmeer verloren, was in Syrien, in Libyen, in Azerbaidjan, auf der Krim, im Irak? Geht es der türkischen Wirtschaft dadurch besser oder schmiert die Lira gerade ab?

Was will Macron am Ende eigentlich erreichen? Er, der schon einmal eine EU-Armee forderte und die NATO für „Hirntot“ erklärte? Wie weit folgt ihm die EU bei seinen Ansinnen? Deutschland hält sich derzeit auffällig zurück, von etwas Pathos unseres Aussenministers abgesehen.

Was will der EU-Staat Frankreich im Alleingang in all diesen Konflikten erreichen? Die EU vor vollendete Tatsachen stellen? Tatsache ist, daß die meisten EU-Staaten ähnliche Probleme mit ihren Minderheiten haben. Dies ist keine Frage der jeweiligen Staatsangehörigkeit sondern des Denkens eines jeden Einzelnen, egal welchen Pass er in der Tasche hat.

Die bestialische Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty erfolgte zu einem Zeitpunkt, als all diese oben genannten Konflikte schon offen ausgetragen wurden. Das eher trotzig klingende „wir werden weiterhin Karikaturen veröffentlichen“ geht in diesem Sinne am Problem vorbei. Es wird weiterhin einen, mehrere, viele selbsternannte Sprecher der Muslime geben, die ihren Glaubensgenossen in Europa Handlungsanweisungen, Befehle geben, die von Ultras dann befolgt und ausgeführt werden. Wir, die EU brauchen GEMEINSAM ein funktionierendes Handlungskonzept zum Umgang mit dieser supranationalen Problematik.

4 Responses to Streit zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Emmanuel Macron: Worum geht es?

  1. almabu sagt:

    Das politische Frankreich steht anscheinend keineswegs geschlossen hinter Präsident Emmanuel Macron und seinen Teils schwer zu verstehenden Aktionen.

    Den Rechten geht er nicht weit genug und nicht über Ankündigungen hinaus, während die Linken von LFI (La France Insoumise) einen Teil ihres Wählerpotentials unter Frankreichs Muslimen sehen und die Dinge deshalb differenzierter betrachten wollen.

    Am vergangenen Donnerstag hat der Minister für nationale Erziehung Jean-Michel Blanquer den « l’islamo-gauchisme », den Links-Islamismus, speziell von Mélenchons LSI kritisiert.

    Auch die ehemaligen Premierminister der Linken Bernard Cazeneuve und Manuel Valls kritisierten die indifferente Haltung der Linken in dieser Frage.

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  2. almabu sagt:

    Im Grunde hat Macron Erdogan eine Handhabe geliefert, in einen Teil der französische Gesellschaft, den Teil islamischen Glaubens, hineinzuwirken und Erdogan indirekt auch als Sprecher für den Islam mit aufgebaut. Ob das wohl sehr clever war?

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  3. almabu sagt:

    Die Beeinflussung von inneren Angelegenheiten von Staaten ist in Zeiten des www so einfach wie nie zuvor. Sie darf also getrost unterstellt werden, dabei dem schlichten Schema „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ folgend. So gibt es bei der Steuerung von Minderheiten, bei Wahlen und Separatismus-Bestrebungen (fast?) immer Interessierte aussenstehende Kräfte, die mehr oder weniger offen ihren partikulären Interessen folgen und dabei auf die unterschiedlichste Art und Weise mitmischen.

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