Auch im Dritten, und abgespeckten, Anlauf schaffte es Premierministerin Theresa May wieder nicht im Unterhaus eine Mehrheit für ihren Brexit-Deal zu bekommen. Sie verlor mit 286 Stimmen für ihren Plan und 344 Gegenstimmen. May ist definitiv am Ende! Dies würde im Prinzip einen ungeordneten, ungeregelten, vertragslosen Austritt aus der EU bedeuten und die ersten Banker schreien schon „GANZ TOLL!“ bevor sie Ausnahmen und Übergangsregeln für die City of London fordern…
Die Folgen wären FÜR BEIDE SEITEN, das UK und die EU unkalkulierbare Probleme und vor allem Kosten! Zwar stellt die EU dank des durchaus anglophilen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, Verschiebungen in Aussicht, vom 12. April, dem 22. Mai oder gleich einem ganzen Jahr ist die Rede. Das Dumme ist nur, all diese Verschiebungen sind Seitens der EU an Bedingungen geknüpft, von denen das UK nach zweieinhalb Jahren Verhandlungen bisher keine einzige Bedingung unterschrieb oder noch unterschreiben kann oder will.
Die derzeitige britische Politik, vertreten durch die etwa 630 Abgeordneten des Unterhauses, ist ein unberechenbarer Chaoshaufen von Individuen, Grüppchen, Fraktionen und Parteien, die gnadenlos den eigenen Vorteil suchen und keinen Gedanken an das Ganze, an die Bürger des UK, oder gar an die ebenfalls direkt betroffenen Kontinentaleuropäer verschwenden.
Wir Kontinentaleuropäer sind aber keinesfalls nur mehr oder weniger verwunderte Zuschauer, sondern wir sind akut Betroffene von diesem Stück aus dem Tollhaus. Jeder Kontinentaleuropäer wird bei einem ungeregelten Austritt persönlich finanziell und bezüglich Lebensqualität betroffen sein. Da stellt sich dann doch schon die Frage, ob das britische Unterhaus mit seinen rund 630 Abgeordneten die Kompetenz für so weitreichende Folgen auf europäischer Ebene haben kann, dürfte, sollte?
Sollte dem aber tatsächlich so sein, dann dürfte der Brexit in der Tat der Startschuss zum Ende der EU in ihrer heutigen Form sein. Wer will, der tritt vertragslos aus und läßt die Rest-EU-Bürger auf einem wachsenden Schuldenberg sitzen, frei nach dem Motto „was soll’s, wen juckt’s“?
Donald Tusk hat nun zum 10. April einen EU-Gipfel einberufen und sieht die reale Gefahr eines harten, ungeregelten Brexit auf die Europäer zukommen. Die Briten sind faktisch ab heute Abend um 23 Uhr keine EU-Bürger mehr und haben sich schon eine ganze Weile nicht mehr wie solche verhalten. Ich bedauere diese ganze Entwicklung außerordentlich, aber es kommt einmal der Punkt an dem man als Kontinentaleuropäer dieses ganze „Ich-will-aber-stets-mein-volles-Sonderrollentheater-Spektakel“ überdrüssig wird? Dieser Punkt, dieser Moment rückt näher. Immer mehr Europäer und europäische Regierungen haben anscheinend genug von den Briten?
Ex-Premier Gordon Brown fordert eine einjährige Verschiebung des Brexits:
https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/mar/30/uk-year-extension-brexit-take-back-control
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Wie es aussieht will May jetzt nach der vierten Abstimmungsniederlage auf die Hardline-Brexiteerer pfeifen und eine parteiübergreifende Mehrheit mit Labour. Beide können argumentieren, dass es eine Parlamentsmehrheit gegen einen No-Deal-Exit gebe, sich der Brexit auch nicht eher verlängern lasse, zumal dann GB auch an den Europawahlen teilnehmen würde, was keiner auf beiden Seiten des Kanals will. Corbyn dürfte die Hoffnung auf Neuwahlen und ein zweites Referendum in nächster Zeit wohl inzwischen aufgegeben haben. Bleibt also entscheidend, was May und Corbyn verhandeln wollen, May dürfte da zuerst ihren bisherigen Brexitdeal mit der EU, vielleicht aber mit Änderungen an den Passagen über die zukünftigen Beziehungen mit der EU anbieten, Corbyn dürfte mehr für eine Zollunion plädieren, zumal diese ja innerhalb der Parlamentsabstimmung die Option mit den meisten Stimmen war, ihr nur 8 Stimmen zum Sieg fehlten und er diese Option ja auch schon tatkräftig unterstützt hatte. Die Frage wird aber sein, ob May dann wiederum Corbyn so entgegenkommen wird und beide bereit sind über ihren Schatten zu springen. Nicht unmöglich, aber eben auch noch ungewiss. Denn die Frage ist, wie sich dies für beide Parteien bei den nächsten Wahlen auswirken wird–vielleicht mit Mitglieder- und Stimmenverlusten–was aber auch nicht automatisch sein muss. Desweiteren bleibt abzuwarten, ob die enttäuschten Tories zur UKIP übertreten, die aber eigentlich ihre Existenzberechtigung verloren hat und sich inzwischen in eine rechtsradikale Partei umwandelt, wurde doch der Führer der English Defence League inzwischen hochrangiger Berater des neuen Vorsitzenden, weswegen Nigel Farage nun auch ausgetreten ist.Auch bleibt die Frage, wer die Tories nach Theresa May führen wird.
Vielleicht gibt es angesichts eines May-Corbyn-Deals auch nur einige wütenden symbolischen Proteste für die Medien, um dann wieder froh zu sein, dass kein harter Brexit kam. Beide Parteien dürften aber für die negativen Auswirkungen des Brexits in Zukunft haftbar gemacht werden und könnten dann nur argumentieren, dass ein harter Brexit Schlimmeres hervorgebracht hat. Ob diese Argumentation des kleineren Übels dann zieht, ist noch dahingestellt, vielleicht will dann UKIP, falls sie sich von einer Brexitpartei in eine rechtsradikale Partei umwandelt oder andere Parteienneugründungen von der absehbraen Unzufriedenheit profitieren, obgleich das Mehrheitswahlrecht in GB solchen Neuparteigründungen wenig Aussicht auf Erfolg lässt. Die Frage ist auch, ob ein May-Corbyndeal als Endlösung gesehen und common sense wird oder aber nur als Zwischenstufe beider Lager, in der Hoffnung selbst einen Backstop oder eine Zollunion mit der EU wieder zugunsten eines harten Brexits ganz zu kippen oder aber von der anderen Seite auf Neuwahlen und ein zweites Referendum zu hoffen, das den Brexit dann wieder rückgängig macht. Ebenso könnten die Befürworter eines harten Brexit arguimentieren, dass etwaige Negativfolgen eines soft brexit gerade an dem Backstop, einer Zollunion oder noch etwaigen rudimentären Verbindungen zur EU liegen würden und man einen richtigen Brexit einen „true Brexit“ schaffen müsse, während die Gegenseite dann die Negativfolgen dem Brexit ankreiden würde und für eine Rückkehr in die EU Stimmung machen würde. Bleibt also abzuwarten, ob sich die Spaltung des Landes in diese beiden Gruppen durch einen No-Brexit-Deal beseitigen lässt, was keineswegs ausgemacht ist. Mal sehen, ob May und Corbyn über ihre parteipolitischen Schatten springen werden. Wie wurde britischen Königinnen von seiten ihrer Mütter in der Hochzeitsnacht geraten: Augen zu und an England denken! Right or wrong-my country! In diesem Sinne.
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